Wir alle wollen im Leben 100 Prozent geben und manche sogar noch mehr. Ich würde mich auch zu der zweiten Kategorie zählen. Für mich war es immer normal volle Energie und Kraft zu haben. Na klar, manches mal hat man es auch übertrieben und war danach etwas müde, aber wenn man sich dann kurz ausgeruht hatte, ging es danach normal weiter. So lebte ich, bis mich vor nun bald drei Jahren eine immer größere Müdigkeit und Erschöpfung erfasste, die sich nicht mehr durch kurze Erholungsphasen oder Regenerationen in den Griff kriegen ließ. Alle Aufgaben, selbst kleinste Alltagsaufgaben, waren auf einmal eine riesige Hürde. Sachen, die mir immer Spaß gemacht hatten, waren nur noch anstrengend. So musste ich nach und nach sämtliche Aufgaben abgeben und mir eingestehen, dass irgendwas nicht stimmte. Nach langem hin und her, ließ ich mich dann überzeugen, eine Reha zu machen. Ein paar Wochen rauskommen kann ja nicht schaden und danach bin ich bestimmt wieder fit.... Zum Ende der Reha gab es tatsächlich ein paar Momente, wo alte Dinge wieder aufblitzten. Doch im Alltag wieder angekommen, ging es wieder relativ schnell bergab.
"O.K." dachte ich, "dann schiebe ich halt noch ein Sabbatjahr hinterher, in dem ich mich von allen Aufgaben zurückziehe und dann wird es schon wieder gehen."
Inzwischen musste ich das Sabbatjahr nochmal um ein halbes Jahr verlängern und habe viele Aufgaben komplett in andere Hände gegeben. Seitdem erlebe ich ein ständiges Auf und Ab meiner Energie und Kräfte und ein Zurückkommen zu meiner alten "Form" ist noch nicht in Sicht.
Beim Abschlussgespräch mit dem Oberarzt der Reha Klinik fragte er mich, auf wieviel Prozent meiner Kraft ich wieder kommen wolle. "Was soll die Frage", dachte ich, "Ist doch klar, dass ich wieder zu 100 Prozent zurück kommen möchte." Und so formulierte ich das auch. Doch er sagte: "Nein, das sehe ich nicht so. Ich denke, sie sollten maximal auf 70 Prozent kommen, damit sie immer noch einen Puffer von 30 Prozent haben. Denn sie sind so gestrickt, dass sie eh schnell alles geben und dann keinen Puffer mehr haben."
Das hatte mich damals echt geärgert. Doch mittlerweile denke ich, dass er recht hatte. Nun versuche ich seit einiger Zeit, meinen Alltag so zu gestalten, dass ich mich nicht übernehme und immer noch Spielraum habe. Doch das ist wirklich nicht leicht zu akzeptieren, vor allem weil wir uns in einer leistungsorientierten Gesellschaft befinden, in der es darum geht, möglichst viel und am besten alles gleichzeitig zu schaffen. Wenn man so nicht funktionieren kann, fühlt man sich schnell nutzlos und nicht so wertvoll! Doch wer oder was bestimmt eigentlich meinen Wert? Andere Menschen, mein Beruf, irgendwelche anderen tollen Dinge, die ich vorweisen kann? Für mich als Christ, war es unglaublich entlastend zu wissen, dass ich meinen Wert von Gott erhalten habe. Ich bin wertvoll, einfach weil ich bin so wie ich bin, und nicht, weil ich etwas leiste. Selbst wenn ich nie mehr etwas tun könnte, wäre ich genauso geliebt und wertvoll in seinen Augen. Vom Kopf her wusste ich das schon immer, aber nun hatte ich es zum ersten Mal mit meinem Herzen verstanden!
Natürlich würde ich mich freuen, wenn meine Kräfte immer mehr zurück kommen würden oder ich sogar wieder ganz gesund werde, aber mittlerweile lerne ich auch mit 70 Prozent zurecht zu kommen. Schließlich gibt es auch Menschen, die noch viel weniger Prozent zur Verfügung haben, oder sogar bettlägerig und komplett auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Oder sie erleben eine Krankheit, die immer schlechter wird..
Der Apostel Paulus erzählte, dass er gelernt hat, mit den unterschiedlichsten Lebenssituationen klar zu kommen, seien sie gut oder schlecht. Und dies alles, sei ihm möglich, weil Gott ihm die Kraft dazu gibt.
Philipper 4,11.13:
Schließlich habe ich gelernt, in jeder Lebenslage zurechtzukommen. Alles kann ich durch Christus, der mir Kraft und Stärke gibt.
Das möchte ich auch immer mehr lernen, mit allen Situationen zurechtzukommen und ich bin froh, dass ich dabei nicht alleine bin, sondern dass Gott an meiner Seite ist und er mir die Kraft dazu gibt (und dass ich eine tolle Familie und Freunde habe, die mich unterstützen)!
Ich weiß nicht, was deine Situation ist, mit der du zurechtkommen musst, aber ich wünsche dir, dass du es schaffst und das Gott dir dabei eine Hilfe sein darf!
Deine Danny
Angeregt durch den Satz des Oberarztes und alle meine Erlebnisse der letzten Jahre ist ein Buch entstanden :
"70 ist das neue 100 - Wie ich lernte, schwach zu sein!"
Noch ist es nicht veröffentlicht. Keine Ahnung, ob es dazu noch kommt. Aber wenn du Interesse daran hast, lasse ich es dir gerne per Mail zukommen!
Ein paar Eindrücke aus meiner Reha:
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Cornelia (Freitag, 11 November 2022 06:30)
So treffend - es gilt auch für mich.
Du gibst mir Mut, meine Situation anzuerkennen.
Danke dir, Danny- Geschenk Gottes